Berlin leuchtet

Berlin leuchtet. Thomas Manns berühmte Zeile über das herbstliche München trifft in dieser Jahreszeit auch auf die Hauptstadt zu. „Unbeschreiblich!“ C., den Herta-Fan, hat der Blick von seinem Stadionplatz in die rotgolden versinkende Sonne (fast) so glücklich gemacht wie das 3:0 seiner Mannschaft. J. hat kürzlich eine Verdoppelung des Naturschauspiels erfahren: Im ICC-Zentrum mit seinen spiegelnden Scheiben sah er den Sonnenuntergang erst im Osten, wo er nicht sein konnte, dann im Westen, wo er authentisch war. Die Verwirrung mündete in zweifachen Schau-Genuss. „Am Frankfurter Tor“, sage ich, „werden die Touristen nicht müde, den Fernsehturm vor dem rosigen Abendhimmel zu fotografieren“. Ach, die Touristen! Die Berliner wissen besser, was ihr Kiez zu bieten hat. Zur Warschauer Brücke, bemerkt C., pilgern abends die Friedrichshainer Freaks und lassen die Beine über den S‑Bahn-Geleisen baumeln. Hier verleiht die Bewegung der erleuchteten Züge der Dämmerung einen zusätzlichen Reiz: Technik meets Kosmos… „Der alte Kahn“, sage ich. Seit der Auskämmung des Spreeufers hinter der Bilder-Mauer finden den Zugang nur noch die Eingeweihten. Ein magischer Platz für Sonnenuntergänge. Liegestühle; Bänke. Eine Flasche oder ein Glas. Die Dunkelheit bezieht im Wasser Quartier. Lichtreste behaupten sich in aufgeregten Flecken. Kein schönerer Himmel als in den Minuten, in denen er sich der Nacht ergibt. Dort oben beginnt ein Fest. Sterne, Satelliten, Kondensstreifen, Flugzeuge, Cumuluswölkchen, Laserstrahlen nehmen in Besitz, was der Sonne gehört hat. Unten behauptet sich die Stadt mit allem, was leuchtet, gegen das Verdikt der ewigen Nacht. – J. würde das bestimmt kürzer ausdrücken. In einem Haiku?